Am 15. Juli 2021 debatiert der Sozial- und Gleichsstellungsausschuss des Thüringer Landtages über zwei Anträge zur Abschaffung des Transsexuellengesetzes bzw. zur Ablösung durch ein Selbstbestimmungsgesetz.
- Geschlechtervielfalt anerkennen und schützen - Erfordernis von Personenstandsangaben überprüfen, Transsexuellengesetz abschaffen (Drucksache 7/1138, eingereicht durch die FDP Fraktion)
- Geschlechtervielfalt anerkennen und schützen - Transsexuellengesetz abschaffen - zeitgemäßes Selbstbestimmungsgesetz einführen (Drucksache 7/2216, eingereicht durch DIE LINKE. SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
In einer Stellungnahme haben wir und hierbei an den Ausschuss gewendet:
Seit 40 Jahres existiert mit dem Transsexuellengesetz (TSG) in Deutschland eine Rechtsgrundlage zur Anpassung des Vornamens bzw. des Geschlechtseintrages an die empfundene Geschlechtsidentität einer Person. In einer Vielzahl an höchstrichterlichen Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht zahlreiche und z. T. zentrale Vorschriften des TSG für verfassungswidrig erklärt. Übrig geblieben ist ein veraltetes Gesetz, das sowohl dem gesellschaftlichen als auch den wissenschaftlichen Stand der Diskussion um vielfältige Geschlechtsidentität nicht mehr entspricht. Bereits vor diesem Hintergrund ist das TSG nicht mehr haltbar.
In den 40 Jahren seines Bestehens ist das TSG ferner eine Rechtsnorm der Fremdbestimmung und Pathologisierung: So mussten sich Personen lange Zeit vor einem TSG-Verfahren fortpflanzungsunfähig machen und scheiden lassen. Auch heute noch müssen sich trans* Menschen zwingend von Psycholog_innen und Ärzt_innen zu ihrer Geschlechtsidentität begutachten lassen, um ein TSG-Verfahren durchlaufen zu können. Dieses Begutachtungs- und Gerichtsverfahren ist dabei nicht nur kosten- und zeitintensiv, sondern wird von trans* Personen als fremdbestimmt, einem seelischen sich-nackt-machen-müssen (auch in Bereichen, die nichts mit ihrer trans* Identität zu tun haben) und z.T. als übergriffig empfunden. Auch wissenschaftliche/medizinische Fachverbände widersprechen spätestens seit Verabschiedung der S3-Leitlinie „Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit: Diagnostik, Beratung, Behandlung“1 2019 der Auffassung, „trans*-Sein“ könne von Außen diagnostiziert werden.
Diese dem TSG immanente Fremdbestimmung setzt sich auch in der Diskussion um eine Reform des TSG fort: So legte das Bundesinnenministerium gemeinsam mit dem Bundesjustizministerium im Mai 2019 völlig überraschend einen Reform-Entwurf vor. Nachdem in der Erarbeitung trans* Selbstorganisationen nicht beteiligt waren, wurde diesen nach Veröffentlichung des Entwurfes gerade einmal 48 Stunden zur Stellungnahme eingeräumt. Unter heftiger Kritik wurde der Reformentwurf daraufhin zurückgezogen.
Das Anliegen einer Ablösung des Transsexuellengesetz durch ein Selbstbestimmungsrecht sicherndes Gesetz begrüßen wir ausdrücklich.
Vor dem o.g. Hintergrund der Fremdbestimmung im Rahmen des TSG appellieren wir an alle Entscheidungsträger_innen, Neuregelungen des bzw. Ersatz-Normen für das TSG im partizipativen Dialog mit Selbstorganisationen und -vertretungen von trans*, nichtbinären, genderqueeren und intergeschlechtlichen Menschen zu erarbeiten. In sofern bedauern wir, dass die beiden vorgelegten Entwürfe in den Drucksache 7/1138 und 7/2216 des Thüringer Landtages mit keiner uns bekannten trans* Selbstorganisation oder Interessenvertretung in Thüringen erarbeitet worden sind.
Behelfsweise haben wir uns an entsprechende Organisationen, Arbeitsgruppen, Selbsthilfegruppe und Austauschgruppen in Thüringen gewendet und möchten diese Rückmeldungen im Folgenden als Teil unserer Stellungnahme wiedergeben:
- Die statistische Erhebung von Geschlecht (I.3.b, Drucksache 7/1138) grundsätzlich nicht mehr als Begründung zuzulassen erscheint [...] recht weit gefasst. Hier fehlt eine Nuancierung im Antrag. Das generalisierte Erfassen von Geschlecht wird zu Recht kritisiert und sollte unterbleiben. Dennoch sollte es Ausnahmetatbestände oder -bereiche geben, in denen die statistische Erfassung von Geschlecht möglich ist - etwa wenn es um frauenfeindliche, transfeindliche oder queerfeindliche Gewalt geht. In dem gleichen Zusammenhang ist auch fraglich, wie die später eingeräumte "Freiwilligkeit" bei der freiwilligen Erhebung von Geschlecht (II.2.) sichergestellt werden soll - etwa wenn Arbeitgeber_innen bei der Datenerhebung zur Einstellung die Angabe eines Geschlechts verlangen. Hier muss die Privatsphäre und der Datenschutz ebenso wie der Schutz vor geschlechtsbezogener Diskriminierung gestärkt werden indem sichergestellt wird dass die Nicht-Angabe eines Geschlechts keinen Nachteil erzeugt.
- Der Antrag der Fraktionen Die Linke, SPD, und Bündnis 90 / Die Grünen ist aus der Perspektive trans- und intergeschlechtlicher sowie abinärer und gender-nonkonformer Menschen im Grundsatz zu begrüßen. Die Antragsteller_innen täten allerdings gut daran, Teile des Antrags der Fraktion FDP in ihren Antrag zu übernehmen, insbesondere in den Punkten in denen der Antrag der FDP weiter geht als der Antrag der Regierungsfraktionen. Das betrifft explizit: Die Übernahme des Offenbarungsverbots aus dem TSG in eine Neuregelung des Namens- und Personenstandsrechts (Drs. 7/1138: II.7.), die Loslösung der Sozialversicherungsnummer vom Geschlecht (Drs. 7/1138: II.5.) und die Reduzierung der Erhebung und Angabe von Geschlecht insbesondere im Verwaltungshandeln (Drs. 7/1138: I.1.-4. und 6.), wobei bei letzterem Punkt sinnvolle Ausnahmetatbestände für die statistische Erhebung von Geschlecht geschaffen werden sollten, etwa bei der Erhebung von frauenfeindlicher oder transfeindlicher Gewalt. oder tatsächliche Benachteiligung in Form von struktrueller Natur (soziale Härte, Benachteiligung auf Grund von beruflichen Chancen am Arbeitsmarkt).
- Darüber hinaus ist ein Hinwirken der Landesregierung auf eine tatsächliche Abschaffung des TSG und eine entsprechende Anpassung des §45b PStG bzw. die Einführung eines SelbstbestimmungsG explizit wünschenswert. Hier bietet sich beispielsweise die von der Fraktion FDP vorgeschlagene Bundesratsinitiative an.
- Jede Form einer Neufassung oder Ablösung des TSG muss zwingend auch sich nicht-binär verortende trans* Personen in den Blick nehmen. Für diese steht der Weg einer gesetzlichen Anerkennung ihrer Geschlechtsidentität bisher weder über das TSG noch über der Personenstandsgesetz offen. Diese Zielgruppe wird so bisher unsichtbar gemacht und muss und für sie fehlen Versorgungsstrukturen.
- Ein immens wichtiger Punkt wird in Drucksache 7/1138 benannt: Die Übernahme des Offenbarungsverbotes aus dem TSG in das Personenstandsrecht (II.7.). Das Offenbarungsverbot ist ein wichtiger Schutz der Persönlichkeitsrechte von trans* Personen und gilt leider momentan nicht bei Namens-/Personenstandsänderungen nach §45b PStG. Zum Einen sollte dieser Schutz der Persönlichkeitsrechte ebenso für inter* wie für trans* Personen gelten - warum der Gesetzgeber hier intergeschlechtliche Menschen explizit benachteiligt ist weder ersichtlich noch begründbar. Der Gesetzgeber hat hier eine besondere Schutzpflicht welche sich aus Art. 3 Abs. 3 GG i.V.m. Art, 2 Abs. 1 GG und Art. 1 Abs 1 GG wie mehrfach das BverfG feststellte. Eine Abschaffung des TSG ohne Neufassung einen Selbstbestimmungsgesetzes würde nach der Rechtsprechung des BVerfG ein Schritt in die falsche Richtung bedeuten, da das BVerG in allen Entscheidungen die Reformbedürftigkeit des TSG hervorhob. Die Schutzpflicht des Staates geht darüber hinaus, da auch auf das Verwaltungshandeln gegenüber der Menschen mit einem würdigem Umgang zu erfolgen hat. (BVerfGE vom 27.10.2012 - 1 BvR 2027/11 -)
Zum Anderen würde eine Abschaffung des TSG und Verlagerung der Namens- und Personenstandsänderung für trans* Personen ins PStG nach aktueller Lage in diesem Punkt eine Benachteiligung - nämlich die Aufhebung des bisher geltenden Offenbarungsverbots - bedeuten. Deshalb muss bei der längst überfälligen Abschaffung des TSG und einer entsprechenden Erweiterung des §45b PStG darauf geachtet werden ein solches Offenbarungsverbot dort wieder einzuführen. Im Übrigen sollte das Offenbarungsverbot auch unabhängig von der Abschaffung des TSG entsprechend im §45b PStG auftauchen, da die Benachteiligung intergeschlechtlicher Menschen wie dargelegt bereits jetzt nicht haltbar ist. Ein Offenbarungsverbot bedeutet jedoch auch das dieses sich in den Ordnungswidrigkeiten des PStG widerspiegeln muss. Nur eine Ordnungswidrigkeit oder Strafbewärtheit für zu einem zuverlässigen Schutz. Hierbei ist das öffentliche Recht explizit mit einzubeziehen. - Begrüßt werden in Drucksache 7/1138 die Ausführungen zur Erhebung und Verarbeitung von Geschlecht, sowie in Anreden und Formularen, bei der Sozialversicherungsnummer, etc. Das sind wichtige Punkte, in denen zu Recht das Interesse der Verwaltung am Geschlecht des Individuums hinterfragt wird. Durch die Problematik von Renten- und Sozialversicherungsnummern entstehen trans*, inter* und abinären bzw. geschlechts-unkonformen Personen regelmäßig Nachteile bis hin zu finanziellen Schäden da Beiträge teils falsch zugeordnet werden wenn Personen ihren Personenstand wechseln. Das Festhalten der Anwendung der Sozialversicherungsnummern für Anreden im Schriftverkehr im Verwaltungshandeln hätte von der Landesregierung jedoch schon abgeschafft werden können.
- Zum Fragenkatalog der CDU, Frage 3: Ein Vorlegen eines ärztlichen Attest ist im Gegensatz zur Selbstbestimmung ein erheblicher Nachteil. Zum einen müssen Menschen beweisen, ich bin nicht männlich oder weiblich und wenn Sie das vorlegen können, wird dies in den allermeisten Fällen hinterfragt. Eine Abkehr von der Attestpflicht ist um so mehr anzuraten, da nicht alle Menschen, die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzurechnen sind den Weg über § 45b PStG in Anspruch nehmen.
- Zum Fragenkatalog der CDU, Frage 7: Die Umsetzung von Diskriminierungsfreiheit, Gleichstellung und Lebenswirklichkeiten von trans*-, inter* und nicht binären Menschen hat zur Folge, dass diese genannte Personengruppe als gleichwertiges anerkannt wird. Eine gesellschaftliche Teilhabe in allen Bereichen der Gesellschaft würde die Motivation um einiges erhöhen. Die Leistungsfähigkeit würde sich steigen und Menschen wären bereit, sich weiter für eine gerechtere und sozialere Gesellschaft einzusetzen. Auf der anderen Seite ist es ein gravierender wirtschaftlicher Faktor wenn Menschen in ihren Werten wertgeschätzt werden. Hier kann es zu einem erheblichen Zuwachs an Produktivität führen.
Ferner möchten wir auf den Maßnahmenkatalog aus der Bachelorarbeit „Trans* in Thüringen - Analyse der Lebensverhältnisse und Erläuterung notwendiger Maßnahmen gegen strukturelle Diskriminierung von trans* Personen“ von Caspar Rehlinger (2020, Bauhaus Universität Weimar) verweisen (siehe Anlage).